Kurzer Abriß der Geschichte der Ostfrieslandkarten
von Michael Recke

Nachdem Lang 1962 eine "Kleine Kartengeschichte" von Ostfriesland herausgegeben hatte, ist einiges in der ostfriesischen Kartographiegeschichte und ihrer Aufarbeitung in Bewegung gekommen. Waren es zuerst die Entdeckung der Fabricius-Karte von 1589 und die der Erstausgabe der Ostfrieslandkarte von Emmius, so haben im Anschluß daran Heinrich Schumacher und Rainer Sonntag versucht, mehr Licht und Ordnung in die Kartengeschichte zu bringen. Letzter Beitrag hierzu sind die Aufsätze im Emder Jahrbuch mit einer zusammenfassenden Tabelle. Ich möchte aufgrund dieser, durchaus nicht überall bekannten, Literatur und der mir bekannten Ostfrieslandkarten einen kurzen Abriß zur Geschichte geben.
Die erste bekannte Karte, auf der Ostfriesland einen größeren Abschnitt einnimmt, ist die "Caerte van Oostlant" von Cornelis Anthonisz, von ihrem Kartenschnitt aber mehr eine Karte der südlichen Nordsee. Sie bietet außer einer groben Darstellung noch keinen detaillierten Einblick in die Geographie Ostfrieslands, sodaß die 1545 von Jacob van Deventer herausgebrachte "Frieslandt"-Karte eine erste ernstzunehmende Quelle für die Darstellung Ostfrieslands ist. Wenn diese Karte auch im Zentrum das niederländische Friesland und das Groningerland darstellt, so wird in ihrem Randgebiet der westliche Teil Ostfrieslands sehr genau dargestellt. Genau diese Darstellung finden wir auf der Karte 1 wieder, die als erste Ostfriesland als Ganzes darstellt, allerdings verbunden mit der Darstellung von "Westfriesland". Hier ist der Teil östlich von Aurich sehr verzerrt bzw. unkorrekt dargestellt, besonders wenn wir uns die Umgebung des Jadebusens anschauen. Wenige Jahre später allerdings nahmen sich nun Kartographen aus Ostfriesland die Aufgabe vor, das ostfriesische Gebiet "exact" darzustellen. So waren es Laurentz Michaelis aus dem östlichen Ostfriesland für den Verlag deJode und Johannes Florianus für den Verleger Ortelius. Daß beide sicher nicht das ganze Untersuchungsgebiet bereist und vermessen haben, zeigen die entstandenen Karten. Ein weitläufig gezeichnetes Gewässernetz soll einen Eindruck von Genauigkeit erwecken. So kann es nicht verwundern, daß die beiden Karten im Mercator-Atlas, die Ostfriesland zeigen, nämlich die Karten 3 und 4(bzw. 5 und 6 in verkleinerter Ausgabe), dieselben Unrichtigkeiten aufweisen, müssen wir doch davon ausgehen, daß Mercator keine eigenen Untersuchungen in Ostfriesland angestellt hat, sondern vielmehr als Kompilator verschiedener älterer Karten gewirkt hat. Dies ist umso schwerwiegender, weil die Mercator-Karten noch Jahrzehnte später neu verlegt wurden, und besonders die Karten des "Atlas Minor", eines Taschenatlasses, noch bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts Verbreitung fanden(Karte 1 und Karte 1). Zur gleichen Zeit entwickelte sich ein ganz anderer neuer Kartentyp, nämlich die Seekarte. Waren die bisherigen Informationen für Seefahrer meistens in Segelanweisungen mit kleinen Küstenskizzen(Vertonungen) erschienen, so gab Lucas Jansz. Waghenar 1584 einen richtigen Seeatlas mit Seekarten heraus. Hierin finden wir die Küsten aller Erdteile dargestellt aus der Sicht der Seefahrer, das bedeutet für die ostfriesische Küste, daß die Karte gesüdet ist, d.h. daß Süden oben ist. In der Darstellung wird Wert auf die Hafenzufahrten, die Sandbänke und den Küstenverlauf gelegt, das Innere des Landes wird dekorativ ausgefüllt. Hier begegnen wir auch dem Begriff "Embderland" für das ganze Ostfriesland, sicher durch die damalige politische, religiöse und wirtschaftliche Bedeutung Emdens in der Welt begründet (Karte 1). Etwas unscheinbar, kartographisch und verlegerisch interessant ist die Karte 2. Sie stammt aus dem ersten Reiseatlas von Deutschland, der in Köln herausgegeben worden war. Es gab dort verschiedene Verleger, die teils aus religiösen, teils aus politischen Gründen ihre Werke nicht in den Niederlanden herausbringen konnten, sondern dies in Köln taten, teilweise unter falschem Namen, wie sich die Forschung seit kurzer Zeit sicher ist.
Für die Entwicklung einer guten Ostfrieslandkarte waren die Arbeiten von Fabricius und Emmius sehr wichtig. David Fabricius, Astronom aus Esens, gab in Emden seine Ostfrieslandkarte heraus(Faksimile im Museum, Original im Rathaus in Emden). Im Taschenatlas von Bertius finden wir eine verkleinerte Ausgabe dieser Karte. Ganz entscheidend aber war die Karte des Ubbo Emmius aus dem Jahre 1599, die heute im Landesmuseum in Karlsruhe liegt. Sie war mit trigonometrischen Methoden hergestellt worden und zeigt eine für die damalige Zeit unwahrscheinlich korrekte Abbildung von Ostfriesland. In den veränderten Plattenzuständen von 1617 und 1624 können wir sie in der Ausstellung begutachten(Karten 11 u. 12). Andere Verleger nutzten diese Vorarbeit und ließen Nachstiche für ihre Atlanten herstellen (Karten 12, 13, 14) oder übernahmen sie einfach vom Vorgänger (Karte 15). Vom Inhalt veränderten sich die Ostfrieslandkarten bis zum Jahre 1730 kaum, nur die künstlerische Ausgestaltung wurde immer besser (siehe Karte 17). Im eigentlichen Sinne keine Ostfrieslandkarte ist die Wasserflutkarte von 1717.(Karte 16) Sie vermittelt aber einen plastischen Eindruck vom Ausmaß der Überflutungen, was jemanden veranlaßte, seine Ostfrieslandkarte (Karte 15) entsprechend dieser Karte zu kolorieren. Eine besondere Rolle spielen die sogenannten Ost- und "West"-Friesland-Karten im 17. Jahrhundert. Sie sind wohl in Zusammenhang der Idee der "friesischen Freiheit" zu sehen und haben häufig einen stark dekorativ ausgeprägten Charakter. Schon im Jahre 1600 wurde eine solche Karte von Doetechum herausgebracht. Sie ist heute sehr selten und nicht in dieser Sammlung enthalten. Fast genauso rar ist die Karte von Kaerius (Karte 18) aus dem Jahre 1610, bei der die Trachtendarstellungen, Stadtansichten und Abbildungen von Graf Willem und Graf Enno beeindrucken. Die Verlegerfamilie Visscher(=Piscator) brachte in zwei Varianten diesen Karten-Typ in ihren Atlanten heraus, damit war aber auch diese gemeinsame Darstellung der Gebiete von der Zuider-See bis zur Jade beendet.
In Ostfriesland spielte die Schiffahrt immer eine große Rolle, und so ist es nicht verwunderlich, wenn die ostfriesische Küste in den Seeatlanten jener Zeit ihre Berücksichtigung findet. Wir erwähnten schon Waghenaer und müssen für das 17. Jahrhundert Blaeu, Goos, Doncker u.a. nennen. Hier werden die beiden Karten von Blaeu (Karten 22+23) und die Karte von Doncker(Karte 25) gezeigt, die anderen Seekarten sind der von Doncker zum verwechseln ähnlich. Bei der Karte der "Wattenfahrt von Amsterdam nach Hamburg" (Karte 24) handelt es sich dagegen nicht um eine Seekarte sondern um eine normale Atlaskarte, die einen der damals wichtigsten Handelswege zeigt. Die ersten größeren Verbesserungen erfährt die Ostfrieslandkarte von Emmius durch die Herausgabe einer Karte im Homann-Atlas. Hier wurde der Auricher Sekretär Coldewey bei der Fortentwicklung hinzugezogen und es entstand eine für die nächsten 70 Jahre gültige und von verschiedenen Verlagen nachgestochene Karte (Karten 26, 27, 28, 29, 30). Die Karte 31 kündigt in ihrem Titel zwar neue trigonometrische Vermessungen als Kartengrundlage an, dies gilt für den ostfriesischen Teil aber erst für die Karte von Camp (Karte 32). Die ausführlichen Vermessungen Camps leiteten die sachliche Kartographie ein: die Karten haben immer genauere geographische Inhalte, dafür tritt die künstlerische Ausgestaltung in den Hintergrund, Anlaß genug für manchen Sammler, hier seine Sammlung zu beenden. Diese vielfältigen Informationen sind es aber, die den geschichtsinteressierten Betrachter in den Bann ziehen wie bei den Karten 34, 36 und 37. Während die Karte 39 besonders wegen ihrer Seltenheit gezeigt wird, können wir bei den Karten 38 und 40 die Vorläufer der in Ostfriesland allseits bekannten Heimatkarte erblicken.


Original oder Fälschung?
von Michael Recke

Für den interessierten Kartenliebhaber taucht natürlich immer wieder die Frage auf: Handelt es sich bei diesem Exemplar um ein Original?
Im allgemeinen kann man diese Frage bejahen, denn Fälschungen von Karten sind äußerst selten, von Ostfrieslandkarten überhaupt nicht bekannt. Wie wir aber sehr gut an den beiden ausgestellten Coldewey-Karten von 1730 erkennen können, gibt es durchaus verschiedene Abdrucke von ein und derselben Kupferplatte. Diese wurde nämlich durch ausschleifen bzw. Nachgravur verändert, meist um die inzwischen veraltete Darstellung auf den neuesten Wissensstand zu bringen, manchmal auch, weil sich der Herausgeber der Karte geändert hat. Der Fachmann spricht in diesem Fall von verschiedenen Plattenzuständen. Diese liefern selbstverständlich Originalabdrucke. Bei den Karten von Blaeu und Janssonius in dieser Ausstellung handelt es sich dagegen um Nachstiche der Emmius-Karte. Dies bedeutete für den Verleger, daß er keine eigenen kartographischen Tätigkeiten im Gelände veranlassen mußte, sondern er beauftragte einen Stecher, eine bereits vorhandene Darstellung "abzukupfern", gegebenenfalls mit kleinen Änderungen in der künstlerischen Ausgestaltung, um ein eventuell vorhandenes Copyright (Privileg) zu umgehen. Bei einem Nachstich einer Karte kann man deswegen auch nicht von einem neuen Verfasser der Karte sprechen.
Besonders in der Zeit zwischen 1870 und 1914 entwickelte sich ein großes Geschichtsinteresse in Deutschland, was sich u.a. auch im Nachdruck alter, seltener Karten ausdrückt. So fertigte Georg Sello von der Ostfriesland-Karte des Fabricius aus dem Jahre 1592/1613 eine Lithographie an, weil es nur ein zugängliches Exemplar in Oldenburg gibt. Solche Nachdrucke sind in der Regel gut erkennbar und daher nicht als Fälschung zu bezeichnen. Viele Ostfrieslandkarten sind als dekorative Faksimiles im Buchhandel zu erhalten. Ein Faksimile hat den Anspruch, daß es sich hierbei um einen Druck in gleicher Größe und, wenn möglich, in gleicher Farbgebung handelt. Bei einem Faksimile macht der Heruasgeber des Faksimiles durch sein modernes Copyright deutlich, daß es sich um einen modernen Druck handelt.
Die modernen Möglichkeiten der Vervielfältigung mit Hilfe von sog. "Scannern" wird am Beispiel der Coldewey-Karte aufgezeigt. Kartenliebhaber, die nicht so viel Geld in ein Original investieren möchten oder ein Original wegen seiner Seltenheit nicht bekommen können, freuen sich über diese preiswerte neue Methode. Die immer bessere Technik wird bald dafür sorgen, daß Original und Kopie kaum zu unterscheiden sind. Solange dies nicht in betrügerischer Absicht geschieht, ist es eine begrüßenswerte Angelegenheit.


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